Von Heidi Rauch, die ihr „Büro Süd“ in der „Toskana für Arme“ gefunden hat
Wenn ich jemandem erzähle, wo wir seit 2008 ein Haus haben, muss ich immer weit ausholen. Wieviel einfacher wäre es „Venedig“ oder „Gardasee“ zu sagen. Nein, das Wort „Marken“ löst meist keinerlei Assoziationen aus. Den zu erwartenden Gegenfragen komme ich zuvor, indem ich in Stichworten ergänze: Mittelitalien, Höhe Rom, nur auf der anderen Seite des Appenin an der Adria, Hafenstadt Ancona, 90 Kilometer südlich davon. Wenn gar nichts hilft, kommt: Rimini! Ja, bis dahin kommt der deutsche Tourist, weiter südlich gehört Italien bis Apulien wieder den Italienern. Tatsächlich beginnt die mittelitalienische Region Marken, Le Marche, kurz nach Rimini und endet bei San Benedetto del Tronto, danach kommt die Region Abruzzen (da denkt jeder auch nur an die Berge und nicht an die Adria-Küste).
Um die Marken zu beschreiben nutze ich auch immer wieder gern den Begriff „Toskana für Arme“, den Uli T. Swidler in seinen gleichnamigen Geschichten über ein italienisches Dorf geprägt hat. Das trifft es wirklich gut, denn in den Marken ist wirklich alles günstiger und intakter als in der Sehnsuchtsgegend Toskana. Der caffè (kein Italiener sagt Espresso) kostet in der Bar einen Euro, der Cappuccino 1,20 Euro, ein mehrgängiges Menü inkl. Wein, Wasser und caffè ist im Schnitt für 20 bis 25 Euro zu haben – im agriturismo ebenso wie in der Slow Food-Trattoria oder im Strand-Restaurant. Vielleicht nicht unbedingt im August, aber da fährt man sowieso nicht nach Italien. Denn rund um ferragosto, den 15. August (Mariä Himmelfahrt in Bayern), besetzen die italienischen Familien-Clans die Strandliegen und Sonnenschirme, die „bei uns“ übrigens auch nur 5 Euro am Tag kosten. Die famiglie kommen aus den Bergen (ja, aus den Abruzzen bzw. den zu den Marken gehörenden Sibillinischen Bergen, Nationalpark Monti Sibillini) oder aus Rom, das mit dem Roma-Marche-Bus oder dem Auto nur zweieinhalb Stunden entfernt ist. Eine schöne Fahrt übrigens – an Aquila vorbei, das wg. des Erdbebens 2009 zu einiger Bekanntheit kam.
Ascoli Piceno – die weiße Schönheit
Auf dem halben Weg Richtung Rom liegt die Provinzhauptstadt der südlichen Marken, Ascoli Piceno. Die wunderschöne Stadt mit ihren weißen Travertin-Plätzen ist so unbekannt wie die Marken. Wieso eigentlich? Nun ja, ein Michelangelo hat hier nicht gewirkt und ein Colosseum gibt es auch nicht. Aber an der Piazza del Popolo lockt das historische Caffè Meletti im Jugendstil-Design, wo man unbedingt den Anisetta, Anislikör von Meletti, probieren muss. Am besten gegen 17 Uhr, wenn die Einheimischen und wenigen Touristen ihre passeggiata, den vorabendlichen Stadtbummel, machen und dann in einer der Bars zum aperitivo einkehren. Zu jedem alkoholischen Drink gibt es stuzzichini, übersetzt „Appetithäppchen“, kostenlos versteht sich. Und das sind nicht nur Nüsse oder Pistazien oder Oliven. Häufig gibt es kleine Tramezzini (die italienische Variante der Sandwiches) mit leckeren Aufstrichen, kalte Mini-Pizza-Ecken, gefüllte Blätterteig-Teilchen, Parmesan- oder Mortadella-Stücke und immer diese verführerischen Kartoffelchips, die wirklich nach Kartoffeln schmecken. In München habe ich diese Tradition bisher nur im „Il giornale“, dem ehemaligen Café Extrablatt, an der Leopoldstraße Nähe Uni erlebt. Wahrscheinlich befürchten deutsche Gastwirte, dass die Gäste sich daran sattessen. Die Italiener sehen es als Auftakt für einen langen Abend, an dem es viel später durchaus noch ein üppiges Abendessen oder zumindest einen Teller Pasta gibt.
Wenn man allerdings Olive Ascolane als stuzzichini bekommt, sollte man nur wenige essen: Die Spezialität aus der Region um Ascoli ist üppig. Es handelt sich um große dicke Oliven der Sorte Ascolana tenera, die entkernt werden, um mit einer Farce aus Fleisch, Kräutern und Semmelbröseln (pane grattugiato) gefüllt, paniert und frittiert zu werden. Gern werden die Ascolane auch an offenen Ständen wie Maroni in Tüten verkauft.
Olivenöl extra vergine – fruchtig und einzigartig
Apropos Oliven: Die Marken sind ein bäuerliches Land, das kleinteilig bewirtschaftet wird. Die Grundstücke sind meist vier Hektar groß – und fast immer grün dank vieler Olivenhaine, die sich mit Weinbergen und Obstbäumen abwechseln. Das exzellente Olivenöl, das die fleißigen marchigiani, die Bewohner der Marken, aus ihren vielen Sorten gewinnen, behalten sie für ihren Eigengebrauch oder es bleibt in der näheren Umgebung. Das war bereits im Alten Rom so, als die Römer ihren Olivenölbedarf vorwiegend aus den Marken deckten. So schrieb schon der römische Gelehrte Plinius d. Ältere (23-79 n. Chr.) begeistert, dass die olive picene wegen ihrer exzellenten Qualität zu den gefragtesten im Römischen Reich gehörten. Die Römer machten sich das ehrliche, arbeitsame und eher zurückhaltende Volk der marchigiani übrigens noch anderweitig zunutze: Ihre Rechtschaffenheit war ein Grund dafür, dass die antiken Päpste sie als Steuereintreiber einsetzten. Daher der wenig schmeichelhafte Spruch „meglio un morto dentro casa che un marchigiano alla porta“ – lieber ein Toter im Haus als ein marchigiano vor der Tür! Noch heute gelten die marchigiani als Schwaben Italiens – was für deutsche Touristen oder Neu-Bewohner wie uns absolut von Vorteil ist. Hier wird Müll konsequent getrennt, das hügelige wunderschöne Land ist überall bestellt, es gibt keine Bauruinen oder Bausünden. Lediglich ein Hochhaus am Strand von Grottammare ist höher als die Palmen an dieser blitzsauberen Riviera delle Palme, die mit der bandiera blu für hervorragende Wasserqualität ausgezeichnet ist. An Grottammares Standpromenade findet man übrigens wieder Zeugnisse reicher Römer: Jugendstilvillen, die Anfang des 20. Jahrhunderts der Sommerfrische dienten und heute noch mit bemalten Türmchen und verzierten Veranden von einer anderen Zeit erzählen.
25 Kilometer langer Sandstrand an der Riviera delle Palme
Der feine, 25 Kilometer lange Sandstrand von Cupra Marittima bis zum größten Fischereihafen der Adria, San Benedetto del Tronto, wird bestens gepflegt. Von Mitte Juni bis Mitte September, den italienischen Sommerferien, zieren bunte Schirme und Liegen vor unzähligen Strandrestaurants mit Spielplätzen für den Nachwuchs den Strand. Dazwischen gibt es aber immer wieder spiaggia libera, freie Strandabschnitte, an denen man einfach sein Handtuch ausbreiten kann. Öffentliche Duschen dort sind ebenfalls selbstverständlich. Die 25 Kilometer kann man übrigens auf einer blauen, durchgehend beleuchteten (!) Spur mit dem Fahrrad befahren – und zwischendurch an einer der zahlreichen gelaterie, Eisdielen, ein Päuschen einlegen. An vielen Stellen stehen Leih-Fahrräder bereit, die gern auch am Abend benutzt werden. Denn was gibt es Besseres, als nach einem wunderbaren Fischessen am Meer zur Verdauung noch ein bisschen in die Pedale zu treten und dabei aufs übrigens durchgehend flache und damit kinderfreundliche Meer zu schauen, das sich an den vorgelagerten Molen bricht.
Ab und an hört man allerdings auch den Zug, denn gleich hinter den meist kleinen, familiären Hotels verläuft die Bahnlinie. Das hat den Vorteil, dass man in alle Ort bequem mit dem Zug reisen kann, aber auch den Nachteil des Lärms. Das muss man mögen. Bei der Entscheidung für eine der 3-Sterne-Unterkünfte sollte man also auf Meerblick achten. Der Preisunterschied ist marginal. Lediglich in San Benedetto del Tronto gibt es auch einige wenige 4-Sterne-Hotels mit Pools, die etwas weiter entfernt von der Bahnlinie liegen. Dafür ist in diesem knapp 50.000 Einwohner-Ort, dem zweitgrößten nach Ascoli Piceno, auch viel mehr los. Da ist der Hafen mit dem Museo del Mare, dem Meeresmuseum, und der Möglichkeit, ganz früh den Fischern beim Einbringen ihres Fangs zuzusehen. Auf der langen Fußgängerzone mit ihren Geschäften und Bars bis zum faro, dem Leuchtturm, ist immer etwas los: freitags ist Markt, an den Wochenenden finden fiere, Messen, statt – von der Antiquitäten- über die Hochzeitsmesse bis zur regionalen Produkteschau.
Kulinarische Köstlichkeiten von Pasta bis Wein
Apropos Produkte: Die Marken sind ein wahres Genuss-Land. Der Ort Campofilone mit der gleichnamigen Pasta-Manufaktur von Enzo Rossi hat 2007 sogar für europaweites Medienecho gesorgt: Hat doch der Chef versucht, einen Monat lang vom Gehalt seiner Arbeiter zu leben und dieses Experiment nach 20 Tagen aufgegeben. Resultat: Er erhöhte das monatliche Einkommen seiner 20 Angestellten um 200 Euro! Sein Produkt sind die maccheroncini di Campofilone, hauchdünne Eiernudeln, vergleichbar den chitarrini. Maccheroncini, auch von anderen Herstellern, wie etwa dem größten Konkurrenten Spinosi, bekommt man in allen Restaurants als traditionelles Pasta-Gericht con ragù, mit Fleischsoße, die, wenn sie echt ist, auch Kaninchen- oder Hühnerleber enthalten sollte.
Auch in puncto Wein machen die Marken ihrem Beinamen „Toskana für Arme“ alle Ehre:
Es gibt hervorragende und günstige Weine, die dereinst sogar die Toskana-Chiantis veredelt haben sollen… Bei den Rotweinen haben wir den wunderbaren Rosso Piceno, der aus 60 Prozent Sangiovese und 40 Prozent Montepulciano besteht. Unser Lieblingswein heißt so wie er schmeckt: „Rosso bello“, schöner Roter, vom Weingut Le Caniette bei Ripatransone. Bei den Weißweinen gibt es zwei autochthone Trauben: Passerina und Pecorino, der nichts mit dem Käse zu tun hat. Wunderbare Sommerweine, wobei Passerina aus der Region um Offida auch als spumante angeboten wird. Aber den Perlwein alias Prosecco können sie im Veneto doch besser. Außerdem gibt es bei den Weißweinen noch den nur in der Provinz Ascoli Piceno zu kaufenden Falerio, der aus den Trauben Trebbiano (20-50 %), Passerina (10-30 %) und Pecorino (10-30 %) besteht.
Ein Tipp ist das Edelweingut Domodimonti mit Edel-Unterkunft „Magnolia“ im Val Menocchia. Hier sollte man vorher anrufen. Alle Weine sind etwas teurer, weil der Besitzer sie vorwiegend nach Kanada verkauft. Witziger Gag des Biochemikers Dr. Francesco Bellini: In die Weißwein-Etiketten ist eine Schrift eingearbeitet, die erst sichtbar wird, wenn der Wein im Kühlschrank die richtige Temperatur erreicht hat!
Wer nach dem Essen einen Süßwein schätzt, dem sei der Vino Cotto empfohlen, übersetzt “gekochter Wein”. Es handelt sich um einen Süßwein ähnlich dem Marsala. Seit 2001 ist er ein geschütztes Traditionsprodukt der Marken und der Abruzzen, nicht zu verwechseln mit dem Vincotto aus Apulien, eine süße Würzspezialität aus Traubenmost. Bis heute hat die traditionelle Herstellungsweise des Vino Cotto aus den Trauben Sangiovese und Montepulciano d’Abruzzo überdauert. Der Most wird in einem großen Kupferbottich bei offenem Feuer eingekocht, reduziert, später umgeschüttet, um zu fermentieren. In einem Holzfass darf er nun altern. Je älter der Vino Cotto ist, desto dunkler ist er – von Honigbraun über Rubinrot bis zu Dunkelbraun. Heiß, in kleinen Schlucken getrunken, wird er gern auch als natürliches Heilmittel gegen Erkältungen getrunken.
In den Marken gedeiht das dem toskanischen Chianina-Rind vergleichbare weiße marchegianische Rind, „razza marchigiana“, auf unberührten Wiesen und liefert köstliches, zartes und fettfreies Bio-Fleisch. Das kauft man am besten direkt, etwa beim Rinderbauern Porrà mit angeschlossener Metzgerei, unweit des Weinguts Domodimonti. Hier ist relativ durchgehend geöffnet: Da die Familie über dem Laden wohnt, kann man auch klingeln, dann kommen schon Vater oder Sohn, setzen sich adrett ihre weiße Haube auf und portionieren das Fleisch mit Akkuratesse und Liebe. Toll essen kann man das Rind auf dem heißen Lavastein (nur mit Meersalz) im agriturismo „La Contrada“ bei Ripatransone). Paolo hat immer ein Plätzchen frei, freut sich aber über Voranmeldungen. Bestellen sollte man Tagliata di carne bovina marchigiana su pietra, Minimum 1 kg, er rechnet immer 300 g pro Person. Deshalb ist so ein Fleischgelage schön zu viert oder mit noch mehr Freunden. Zum Veredeln kommt über das Fleisch natürlich Olivenöl aus der Region. Dazu gibt es als Gemüse übrigens gern die bitteren Zichorien, cichorie, die aussehen wie Mangold.
Wer jetzt Lust auf all die Köstlichkeiten bekommen hat, dem sei gesagt, dass zumindest Olio Piceno extra vergine über den Online-Shop auf www.oliopiceno.de bestellt werden kann. Und man kann sich voranmelden zum Olivenölfest von Heidi Rauch und Michael Konitzer am 9. November 2014 im Schloss Aufhausen bei Erding:
info@oliopiceno.de.
Adressen
/ Übernachten
Bed & Breakfast Il Melograno von Annelise und Tom. Sie ist Südtirolerin, er Pole. Kennengelernt haben sie sich in London. Drei liebevoll eingerichtete, wunderschöner Garten, zum Frühstück gibt es nur Selbstgemachtes. Gegenüber liegt gleich der Cross-Country-9-Loch-Golfplatz „I Lauri“. Zum Meer bei Cupra Marittima sind es nur 4 km, der Ort Massignano liegt um die Ecke.
www.ilmelogranobb.it
Boutique-Hotel Magnolia mit Pool, oberhalb des Edel-Weingutes Domodimonti, mit herrlicher Fernsicht über die Weinberge
www.domodimonti.com
/ Essen
Carne marchigiana auf dem Lavastein
www.agriturismolacontrada.com
Slow Food-Meeresfrüchte-Essen am Ende von San Benedetto del Tronto, alte Zollstation zur Nachbarregion Abruzzen, Achtung: crudo meint wirklich, dass alle Vorspeisen aus dem Meer roh gegessen werden
www.osteriacasermaguelfa.it
/ Wein
Rosso Bello bei Giovanni und Luigino Vagnoni unterhalb von Ripatransone, supermoderner Degustationsraum mit herrlicher Fernsicht und moderner Kunst
www.lecaniette.it
Pecorino und Passerina u. a. auf dem Bio-Weingut Ciù Ciù auf dem Weg in den Wein- und Spitzenklöppel-Ort Offida
www.ciuciuvini.it
/ Sehenswerte Orte in den südlichen Marken
Provinzhauptstadt Ascoli Piceno
Ripatransone mit der engsten Gasse Europas
Offida mit Wein- und Spitzenklöppel-Tradition
San Benedetto del Tronto, Adria-Hafen mit lebhafter Fußgängerzone und vielen Bars
Grottammare, schönster Adria-Ort mit Jugendstil-Villen an der Palmen-Promenade
Montemonaco, Ort in den Bergen mit deftigen Spezialitäten (Steinpilze, Trüffel, Schinken etc.)