Voller Bewunderung schaue ich auf den Bildschirm. Ich hebe die Hand, die Figur auf dem Bildschirm auch. Die Figur auf dem Bildschirm hat eindeutig bessere Proportionen als ich: breite Schultern, muskulöse Beine, doch sie kann nicht lächeln, der Gesichtsausdruck bleibt gleich.
Motion Capture System und Sensoren
Um das zu ändern, müssten wohl auch meine Lippen mit Sensoren bestückt sein. Heute bin ich allerdings nicht in einem Hollywood Studio, um vor einer grünen Wand den Kampf mit einem Drachen auf einem fernen Planeten zu simulieren, sondern im „Gears“[1] Fitting Studio eines Golf-Pros.
Henrik, der Pro im „Golf du Rhin“ in der Nähe von Basel, Freiburg und Mulhouse, hat mir soeben in eine Jacke geholfen und mit Krepp-Verschlüssen Sensoren an Schultern, Ellbogen und Händen angebracht. Auch habe ich einen Gürtel mit Sensoren angelegt, und um meine Knie wurde ein Band mit Sensoren gewickelt. Meine Füsse, samt Schuhen, stecken nun in einer Art Hausschuh, an denen in Höhe der dicken und kleinen Zehen auch Sensoren angebracht wurden. Im Gegensatz zu anderen Systemen wie dem TrackMan findet hier keine Radarmessung statt, sondern es wird ein „Motion-Capture-System“ benutzt, wie es auch high-tech Filmemacher verwenden.
Diese Sensoren sind nun “real-time” mit meinem Avatar auf dem Bildschirm verbunden. Ich mache ein Foto von meinem Avatar, der natürlich, wie ich, den Arm erhoben hat, doch die Kamera sieht man am Bildschirm nicht
Die Analyse am Bildschirm
Jetzt fängt der Spass an. Henrik gibt mir einen Golfschläger und legt einen Ball auf die Matte, das Gerät erkennt den Ball und auch den Schläger, der wie ich an vielen Stellen mit Sensoren bestückt ist, aber wohl weniger schwitzt. Die Sonne scheint von Aussen durch das Netz, das den Flug des Balles gleich abbremsen wird, und ich bin wohl auch ein wenig nervös.
Nun heisst es: richtig Hinstellen, ausrichten, Ball “ansprechen”, Rückschwung, Ball schlagen, abwarten.
Ein paar Klicks am Bildschirm und Henrik, bzw. der Computer, zeigt mir gnadenlos alle Fehler auf. Oder, um es freundlicher auszudrücken, der Computer zeigt auf, wo ich mich relativ leicht verbessern und wo weiteres Training ansetzen könnte.
Ein paar Beispiele: Ich denke, ich stehe gerade und Knie, Hüfte und Schultern sind parallel zueinander ausgerichtet? Fehlanzeige: mein Körper war ein paar Grad in Richtung Flugbahn geneigt. Ich knicke das Handgelenk erst spät ein und führe den Schlägerkof mit den Schultern? Fehlanzeige: ich knicke viel früher, als mir bewusst war, das Handgelenk ein, bin also ein “early setter”, nicht unbedingt schlecht, aber kann später im Schwung zu Problemen führen. Tja und dann: ich glaubte immer, dass ich gut oder zumindest in der Regel „von innen nach aussen“ oder doch gerade schwinge, aber das Gears System zeigt mir knallhart, dass auf dem Weg zum Ball der Schläger die Ideallinie verlässt aber dann doch den Ball ganz gut trifft. Das ist verschenkte Energie.
Doch wie wäre es denn im Idealfall? Ich staune nicht schlecht, als Henrik auf dem Bildschirm einen Pro aus einer Liste von echten Tour-Pro Spielern aussucht. Jonas Blixt hat sich offenbar auch vom System messen lassen und steht nun auf dem Bildschirm neben mir. Ein Klick und er ist, in anderer Farbe, mit mir überlappend dargestellt. So kann ich Schritt für Schritt, Zentimeter für Zentimeter, seinen Schwung mit meinem vergleichen.
Manches ist gar nicht so schlecht: mein Körper wiegt nicht hin und her, die Oberkörperdrehung ist auch nicht so schlecht, wie ich vorher dachte. Nun, die Hüfte des Pros dreht früher weg als meine, und die Verschränkung ist grösser, aber ich bin ja auch kein Pro.
Vor allem aber sehe ich, dass nach kurzen korrigierenden Hinweisen von Henrik, mein Schwung nach wenigen Versuchen bereits besser geworden ist.
Lohnt es sich?
Das Gerät ist offenbar recht teuer in der Anschaffung und daher gibt es wohl erst wenige Golfzentren oder Golflehrer, die so etwas anbieten. Aber ich glaube, dass eine Stunde mit seinem Avatar und einem Pro einem die Augen öffnen kann und jedes darauffolgende Training effizienter und zielgerichteter machen kann. Obendrein kann das Gerät helfen, die richtigen Schläger für einen auszusuchen. Das Geld für so ein „Gears fitting“ scheint mir daher gut investiert zu sein.
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[1] https://www.gearssports.com . Die Gears fitting Stunde erhielt ich als Dank dafür, dass ich ein Video mit dem Pro, Henrik Jentsch, gedreht hatte (siehe auch: https://youtu.be/iDdHG3odPjw).