Gewinnen allein hilft nicht – Das neue “World Handicap System”

scorecard - auch unter dem neuen World Handicap System

 

Text und Foto von Gregor Heinrich*

Nun hat Europa wieder einmal den Ryder Cup gewonnen. Aber dennoch führt Europa ab 2020 ein neues Welt Handicap System ein, das in einigen Punkten dem US-Amerikanischen ähnelt.

Wie kam es dazu und was bedeutet das? Was ändert sich und ist dies wirklich besser?

Das zur Zeit in unseren Breitengraden angewandte EGA Handicap System[1] benutzt teilweise recht komplizierte Berechnungen, Bewertungen und Schlagwörter, die oft nur Eingeweihte verstehen, und den Golf-Anfängern seltsamer als Latein anmuten: “par Rating”, Platz Rating, Slop Rating, genaues Handicap, Pufferzonen, einer von einem Dr. Frank Stableford erfundenen Variante, all das bis auf die Dezimalstelle genau, und wenn man meint, alles für sich berechnet zu haben, kann einem das Spielresultat der andern Spieler in einem Turnier doch noch einen Strich durch die Rechnung machen.

Der Durchschnittsgolfer kann im Moment am 18. Loch, wenn es knapp wird, nicht mit Sicherheit sagen, ob nun ein Birdie nötig ist, um sein Handicap zu wahren, oder ob auch ein Par oder Bogie reichen würde, was natürlich den Druck enorm reduzieren würde. Spieler müssen abwarten, bis der Computer eine magische Zahl ausspuckt, das aktualisierte Handicap, und erst dann weiss man, ob es ein gelungener oder mieser Golftag war.

Das gegenwärtige Handicap System wohl hat manchen Golfern – insbesondere den besseren – ein wenig den Spass, Spannung und die Spontaneität am Golfen genommen. Das wäre also schon mal ein guter Grund, die Handicapregeln zu überdenken.

Ein weiterer Punkt ist, dass die Golf-Begeisterung seit einiger Zeit nicht mehr so schnell wächst, wie noch vor vielen Jahren (siehe dazu meinen separaten Beitrag)

Die Golfverbände weltweit machen sich Gedanken, wie der Golfsport – in dem ja auch viel Potential für Werbung und Sponsorengelder steckt – weiter attraktiv und auch über Grenzen hinweg vergleichbar bleiben kann. Eine der Lösungen soll nun ab 2020 ein weltweit standardisiertes Handicap System bringen, das „World Handicap System“.

Hier einige Änderungen und vermeintliche Vorteile des neuen Systems.

  • Die meines Erachtens grösste Änderung betrifft, wann eine Runde für das Handicap zählt: Bisher konnte in Europa (auch in England und Irland) nur eine Turnierrunde das Handicap beeinflussen. Ab 2020 zählt jede Runde, egal ob zum “nur” zum Vergnügen oder im Rahmen eines Turniers gespielt wird.. So ist das bisher bereits in den USA. Was die „privaten Runden“ betrifft haben nationale Verbände aber offenbar einen gewissen Spielraum, und in den nächsten Monaten werden wir wohl mehr darüber erfahren.
  • Ein einheitliches System soll es einfacher machen, den Leistungsstand zu vergleichen und weltweit zu spielen. Derzeit gibt es sechs grosse Regionalverbände mit verschiedenen Systemen auf der Welt [2] und angesichts des wachsenden Golftourismus ein interessantes Argument. Immerhin vertreten die sechs Regionalverbände ca. 15 millionen Golfer in 80 Ländern.[3]
  • Für manche Länder wird es einfacher, überhaupt ein Handicap zu erreichen. Während in den USA bisher 5 18-Loch Runden gespielt werden mussten (= total 90 Löcher), reichen nun 54 Löcher bei einer Kombination von 18 und/oder 9-Loch Runden.
  • In den meisten Ländern Europas konnte bisher jede offiziell gespielte Runde das Handicap verbessern oder verschlechtern. Nun wird das System die besten 8 der zuletzt gespielten 20 Runden berechnen. Es wird wie bisher – für uns Europäer zumindest – leichter sein, sein Handicap zu verbessern als zu verschlechtern so das seine schlechte Serie, die nicht das eigentliche nachgewiesene Spielniveau, nicht so sehr ins Gewicht fällt. In den USA wird hingegen noch ganz linear der Durchschnitt der 10 besten der letzten 20 Runden berechnet.
  • Während wir mit einem Einstandshandicap bzw. schlechtestem Handicap von 54.0 gut vertraut sind, müssen Amerikaner umdenken: Für sie ist bisher das maximale Handicap 40.4 für Frauen und 36.4 für Männer.
  • Grosse Schwankungen beim Handicap sollte es nun nach der neuen Durchschnittsmethode weniger geben.
  • Während das Wetter bisher nirgends bei der Berechnung des Handicaps berücksichtigt wurde, soll nun ein spezieller Algorithmus schlechte Wetter- oder Spielplatzbedingungen ausgleichen. Fällt damit auch die überaus komplizierte – und oft als ungerecht empfundene – Regelung zu „Computed Buffer Adjustment“ (CBA)?[4]
  • Nach wie vor wird das Handicap bei uns in Europa “sofort”, bzw. kurz nach jedem Spiel berechnet. Für die USA ist das allerdings neu, denn dort wurde ein Handicap nur 2x im Monat neu berechnet.

Ball vor Abschlag in Belek - auch unter neuem World Handicap SystemJede Veränderung bringt Unruhe. Ob das neue System wirklich mehr Gerechtigkeit, Frieden auf Plätzen und in Clubs, mehr Begeisterung, bessere Spieltaktik an den letzten Löchern und vor allem mehr Spieler bringen wird, muss sich erst noch erweisen. Ich habe auch meine Zweifel ob wirklich jeder Clubspieler nach jeder Runde unter Freunden seine “score Card” einreichen wird, ganz zu schweigen von Runden, die in den Ferien irgendwo im Ausland gespielt werden.

Aber im Vorfeld wurden offenbar erst einmal 52000 Personen in 15 Ländern befragt 76% waren für ein neues System, 2% dagegen. 300 Golfer und Golfverwalter haben dann weiter Vorschläge erarbeitet und das neue, von der USGA und dem Royal and Ancient Golf Club of St Andrews ausgearbeitete System wurde dann noch mit der Japan Golf Association abgestimmt.

Wird Golf bald “schottischer”, oder “amerikanischer”, komplizierter, oder interessanter? Auf jeden Fall hat die Globalisierung nun auch den Golfsport erreicht und bald können sich Golfer weltweit über die gleichen Handicapregeln ärgern oder freuen.


*    Der Autor ist freier Journalist und Berater und lebt in Basel. https://sites.google.com/view/golfandtesla/home. Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung eines in Swissgolfnetwork, November 2018, erschienenen Artikels (www.swisgolfnetwork.ch).

[1]   https://www.golfsuisse.ch/asg/binarydata/ega_handicap_system_2016_d.pdf

[2]   Golf Australia, Council of National Golf Unions in Great Britain and Ireland (CONGU), European Golf Association (EGA), South African Golf Association (SAGA), Argentine Golf Association (AAG), United States Golf Association (USGA).

[3]   http://www.usga.org/content/usga/home-page/handicapping/world-handicap-system/WHS-resources/new-world-handicap-system-designed-to-welcome-more-golfers–.html

[4]   System 2016-2019: Abschnitt 3.7, 2016 HANDICAP BOOKLET PDF VERSION

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